Kazaguruma

Kazaguruma Demo

10 Jahre nach Fukushima ‐ Atomkraft ist kein Klimaretter!

Kazaguruma-Demonstration zum 10. Jahrestag von FUKUSHIMA

Sa. 06.03.2021 ab 12:00 Uhr
Treffpunkt: Brandenburger Tor (Pariser Platz) Berlin

10 Jahre und noch immer keine Normalität/Nein zur Atomenergie!

Am 11. März 2021 jährt sich die Atomkatastrophe von Fukushima zum 10. Mal. Obwohl die japanische Regierung und die Internationale Atomenergie-Organisation die Auswirkungen und Folgen des Super-GAUs kleinreden, sprechen die Fakten für sich: Von Normalität in der betroffenen Region kann keine Rede sein. Noch immer können viele Menschen nicht in ihre Heimat zurück. Die havarierten Reaktoren geben nach wie vor radioaktive Materialien in die Umwelt ab. Wegen Platzmangel für die Lagerung will die japanische Regierung das verseuchte Wasser sogar ins Meer ableiten.

Eine Entwarnung ist nicht angebracht, im Gegenteil: Die Risiken sind nach wie vor groß. Dennoch will die Atomlobby das gefährliche und schmutzige Geschäft mit Atomkraftwerken weltweit ankurbeln und behauptet, ohne Atomenergie erreiche man die Klimaneutralität nicht. Viele Staaten setzen noch immer auf Atomkraft, immer mehr Länder kündigen den Neubau von Atomanlagen oder die Laufzeitverlängerung für die bestehenden Altreaktoren an.

Wir müssen uns entschieden diesem Wahnsinn entgegenstellen und deutlich machen, dass die Atomkraft keine Option gegen den Klimawandel, sondern eine akute Gefahr für uns und für die Umwelt ist. Zehn Jahre nach Fukushima wollen wir stattdessen für eine konsequente Energiewende eintreten, die Strom zu 100% aus erneuerbaren Energien produziert und weltweit zu einer atom- und fossilfreien Wirtschaftsweise führt. Es darf kein Atommüll mehr produziert werden!

Atomkraft rettet nicht das Klima!

NICHT klimaneutral: Atomkraft verursacht in der gesamten „nuklearen Kette“ - vom Uranabbau über die nukleare Energiegewinnung bis zur Wiederaufarbeitung und (End)-Lagerung von atomaren Brennstoffen - reichlich viele Treibhausgas-Emissionen.

Zu schmutzig: Die Atomindustrie hinterlässt radioaktive Abfälle für die Ewigkeit, die eine massive Bedrohung für Menschen und Umwelt darstellen.

Zu gefährlich: Mit der Atomenergie werden das Risiko eines Super-GAUs wie in Fukushima und die dauerhaften Folgen für Mensch und Umwelt in Kauf genommen. Atomtechnologie dient außerdem der Entwicklung neuer Atomwaffen.

Zu teuer: Atomkraft ist die teuerste Art Strom zu erzeugen, die ohne staatliche Subventionen und Fördermittel nicht finanzierbar wäre.

Deshalb fordern wir mehr denn je:

• Sofortige Stilllegung aller AKW und Atomfabriken weltweit, kein Uranabbau und keine Urananreicherung. In Deutschland sollen auch die Atomfabriken Gronau und Lingen mit dem Atomausstieg den Betrieb einstellen!

• Auflösung von EURATOM und aller anderen die Atomtechnik fördernden Organisationen.

• Umlenkung aller der Atomtechnik gewidmeten Fördermittel und Subventionen zugunsten erneuerbarer Energien und einer zivilgesellschaftlich kontrollierten Forschung zum Umgang mit dem Atommüll!

• Deutschland und Japan sollen endlich dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten!

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Kazaguruma demo poster 2021

Redebeiträge von Yu Kajikawa (Sayonara Nukes Berlin) und von Frau Yôko Tawada, Schriftstellerin, beide im Original:

Sayonara Nukes Berlin Demo-Rede zum 10. Jahrestag von Fukushima (06.03.2021)

Yuu Rede

Liebe Versammelte, schön, dass wir heute gemeinsam des 10. Jahrestags von Fukushima gedenken, denn wir haben alle die Pflicht, uns daran zu erinnern.

Habt ihr euch schon einmal konkret vorgestellt, wie es wäre, von heute auf morgen das Zuhause, die Arbeit oder die ganze Heimat zu verlieren? Und zwar nicht etwa, weil das Haus, die Stadt oder die Fabrik wegen Erdbeben oder Tsunami zerstört wären, sondern weil unsichtbare, radioaktive Strahlen gekommen und geblieben waren. Auf einmal mussten circa 170.000 Menschen ihre Heimat verlassen. Keiner wusste, ob und wann sie wieder nach Hause zurückkommen, den gewohnten Tätigkeiten im Alltag nachgehen, den Beruf ausüben oder mit vertrauten Freunden, Kollegen und Nachbarn wieder zusammen sein könnten, und ob sie überhaupt alles, woraus ihr bisheriges Leben bestanden hatte, wieder zusammenfinden könnten. Genau das war nach dem Unfall von Fukushima passiert. Dieser unvorstellbare Alptraum war für so viele Menschen plötzlich Realität.

Nach Tschernobyl mag man gedacht haben: So etwas war nur in der Sowjetunion möglich! Nach Fukushima habt ihr vielleicht gedacht: Zum Glück gibt es bei uns weder Erdbeben dieser Größe noch Tsunamis. Aber diese Zuversicht ist nur ein Wunschdenken, denn wie kann man so sicher sein? Wenn es kein Erdbeben und kein Tsunami gibt, kann es menschliches Versagen sein, veraltete Geräte oder verschlissene Bauteile könnten genauso verheerende Reaktorunfälle verursachen.

Anstatt die betroffenen Menschen zu unterstützen und sie vor weiteren Gefahren durch Strahlen zu schützen, verbreitet die japanische Regierung lieber ein Märchen, das lautet: Die Nuklearkatastrophe sei fast Geschichte. Sie wollen lieber die Angst der Bevölkerung bekämpfen, nicht etwa durch genauere gesundheitliche Untersuchungen oder korrekte Messungen von radioaktiver Kontamination von Böden, Gewässern und Luftraum, sondern durch eine Reihe von Kampagnen mit einer Bezeichnung, die mich im höchsten Maße empört, nämlich „mentale Dekontaminierung“. Sie sind nämlich der Meinung, dass nicht etwa die radioaktiven Strahlen, sondern die Verunsicherungen, Misstrauen und Zweifel der Bevölkerung, die sie zu Recht hat, die Seuche sind, weshalb es gelte, dekontaminiert zu werden. Dafür scheuen sie keine Kosten. Die Bevölkerung finanziert die eigene Gehirnwäsche mit ihren Steuergeldern. Die Behörden erteilen einer einflussreichen Werbeagentur lukrative Aufträge einen nach dem anderen, damit manipulative Werbungen im großen Stil produziert, irreführende Informationsveranstaltungen organisiert und pseudo-wissenschaftliche Schlussfolgerungen verbreitet werden, bei denen es darum geht: alles sei sicher, unbedenklich, kein Grund zur Sorge.

Während die Schäden der Atomkatastrophe auf diese Weise immer unsichtbarer gemacht, die Opfer im Stich gelassen, die für den Strahlenschutz geltenden Regelungen immer weiter gelockert werden und keiner für den Reaktorunfall zur Rechenschaft gezogen wird, wird der Wiederaufbau von Fukushima medienwirksam inszeniert ohne Rücksicht auf Verluste, sie scheuen nicht einmal davor zurück, die Olympischen Spiele Tokio zu diesem Zweck zu missbrauchen.

Egal wie die japanische Regierung und die Internationale Atomenergie Organisation die Auswirkungen und Folgen des Super-GAUs kleinreden, sprechen die Fakten für sich: Von Normalität in der betroffenen Region kann keine Rede sein. Brennelemente, die durch den Druckbehälter hindurchgeschmolzen sich unter den Reaktorruinen 1 bis 3 befinden, - schätzungsweise insgesamt ca. 900 Tonnen -, sind noch immer so hochradioaktiv, dass niemand sich nähern kann und keine präzise Untersuchung möglich ist. Tepco behauptet, 2021 mit dem Herausnehmen der Schmelze anzufangen, aber wie wollen sie das anstellen, ohne genau zu wissen, wo und in welchem Zustand sie sich befindet? Und wohin damit und mit welcher Methode? Das in über 1000 Tanks auf dem AKW-Gelände gelagerte, auch nach der Bearbeitung mit einem Filtersystem noch immer mit Tritium und anderen Radionukliden kontaminierte Wasser ist mittlerweile auf mehr als 1,2 Millionen Tonnen angewachsen. Die japanische Regierung will trotz heftiger Proteste erlauben, es ins Meer abzuleiten.

Es liegt in unserer Hand, uns konkret auszumalen, in was für einer Welt wir leben wollen. Lasst uns gemeinsam dafür einsetzen, den Lebensraum um uns humaner, freundlicher und demokratischer zu machen und die Welt von Gefahren der Atomenergie, von Nuklearwaffen und ihren strahlenden Hinterlassenschaften zu befreien. Und dafür haben wir noch sehr viel zu tun. Lasst uns davon leiten: NIE WIEDER Hiroshima, nie wieder Nagasaki und natürlich NIE WIEDER FUKUSHIMA!!

Zehn Jahre nach Fukushima. Yoko Tawada

Tawada Rede. Photo: Midori Naganuma
Photo: Midori Naganuma

Wie lang ist die Halbwertszeit von Cäsium? 30 Jahre? Wie lange braucht Plutonium, um sich zur Hälfte zu reduzieren? 24.000 Jahre? Das Uran braucht sogar 4,5 Milliarden Jahre. Ich kann diese Vorstellung nicht ertragen, schließe die Augen und sage aus Trotz, dass alles sowieso für immer verseucht sei. „Für immer“ heißt „eine Ewigkeit“. Die Vorstellung von Ewigkeit ist erträglicher als eine konkrete hohe Zahl, deshalb flüchte ich in die Ewigkeit, einen Zeitraum, für den niemand mehr verantwortlich ist. Dort muss ich nicht handeln, denn es ist sowieso zu spät. Ich erlaube mir einen Rückzug in die eigenen vier Wände. Ein privat versichertes Leben mit süßlicher Melancholie.

Wie wäre es aber, wenn ich den beängstigenden Zahlen direkt in die Augen sehen würde? Wenn ich die unbequemen Wörter wie Cäsium oder Plutonium in die Dichtung integrieren würde? Paul Celan, der vor ungefähr drei Monaten 100 Jahre alt geworden wäre, hat den Begriffen aus Medizin oder Chemie einen Zutritt in seine Dichtung erlaubt. Es geschah, während er sich mit den Katastrophen der menschlichen Zivilisation auseinandersetzte.

Wie lang ist die Halbwertszeit des Gedächtnisses?

Als der „Kern“ 2011 schmolz, waren wir alle tief erschüttert, bekamen abgründige Angst, es war nicht nur Angst vor Radioaktivität, sondern viel mehr. Was für ein Kern ist damals geschmolzen? Ein Vertrauenskern für die Kontinuität, ohne die man nicht jeden Tag seine Kraft in die Arbeit stecken, menschliche Beziehungen pflegen, oder ein Haus, eine Schule, ein Unternehmen aufbauen kann. Die Atom-Maschinerie kann zu jeder Zeit den Sinn des Lebens zerstören und somit verseucht sie uns stets innerlich – allein durch ihre Existenz.

Wie lang ist die Halbwertszeit meines Gedächtnisses? In einem menschenverlassenen Stadtteil in Fukushima sah ich zwei Jahre nach dem Super-GAU in einem kleinen Büro Zeitungen vom 11.3.2011 hochgestapelt, die nie ausgetragen worden waren. Sollten sie weitere 24.000 Jahre dort liegen, ungelesen und unbeachtet?

Man kann nicht mit Schreckensbildern im Kopf weiterleben. Um sie zu verdrängen, tütet man sie in schwarze Plastikbeutel ein oder schüttet sie heimlich ins Meer. Ist der Ozean eine Riesenwaschmaschine, die so viele tödlich vergiftete Schmutzwäsche reinigen kann? Auf keinen Fall. Das Weltmeer ist vergleichbar mit einem hochsensiblen Nervengeflecht, das sich im Laufe von 46 Milliarden Jahren seine heutige Form gewonnen hat. Das große Wasser quält sich, versucht ständig, das Gleichgewicht immer wieder neu herzustellen, aber die Geschwindigkeit der Vergiftung nimmt drastisch zu.

Keine Substanz verschwindet dadurch, dass wir sie totschweigen. Jede schädliche Botschaft, die einmal nach außen gesendet ist, bleibt in der Welt. Sie nimmt sehr langsam ab und die Geschwindigkeit der Abnahme verlangsamt sich, wie uns die Halbwertszeit zeigt. Wir werden immer wieder erneut von Spätfolgen der vergangenen Katastrophen überrascht sein. Damit haben wir schon genug zu tun. Wozu soll man weiter die Vernichtungsmaschinerie laufen lassen? Sie verspricht mehr Profit, bringt Glanz und Lust zum scheinbaren Wachstum und erzeugt zusätzliche Energie für Trost und Ablenkung, aber dafür verwandelt sie unser Leben in eine sinnlose Wartezeit, in der wir nichts anderes tun können, als den Rest der Halbwertszeit zu zählen. Wir stehen bereits in Schulden. Wir müssen das Vernichtungskraftwerk sofort stoppen.






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